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Wie Patente Innovationen verhindern

Die Patent-Falle

Das völlig verfahrene Patentsystem verteidigen dessen Nutznießer immer wieder gern mit dem Totschlagsargument, es ermutige und fördere Innovationen. Doch in Wirklichkeit bewirkt es genau das Gegenteil. - Lionel Dricot

Es genügt nicht, nur eine gute Idee zu haben. Man muss sie auch schon patentieren können - so lautet zumindest die gängige Devise in Unternehmen. Welche schmutzigen Tricks dabei in der Praxis zum Zug kommen, berichtet hier ein Software-Entwickler.

Vor einigen Jahren arbeitete ich für ein sehr grosses internationales Unternehmen. Ich beschäftigte mich dort mit Forschung und Entwicklung im Bereich der Benutzer-Interaktion und hatte sehr nette Kollegen. Ein echter Traumjob. Eines Tages kam ich auf etwas, was ich damals für eine gute Idee hielt. Ich wollte das Leben unserer Anwender dadurch vereinfachen, dass ich mit Hilfe multimodaler Sensoren und eines selbst lernenden Algorithmus ihre nächsten Eingaben vorhersagte. Auch wenn es verrückt klingt, war dazu kaum mehr notwendig, als den Bayes-Algorithmus ein wenig aufzupolieren. Nachdem ich einen sehr einfachen Prototypen erstellt hatte, erwies sich meine Idee als sehr fruchtbar. Schon der Prototyp sagte mehr als 90% der Testfälle korrekt voraus. Was die restlichen 10% angeht, war der Benutzer dann auch nicht schlechter dran als vorher. Jung und naiv, wie ich damals war, wollte ich mir als nächstes mehr Budget besorgen, um einen vollständigen Prototypen zu entwickeln, bevor wird das Feature in unser Produkt integrieren würden. Wie in jedem Grosskonzern, hatte auch mein Arbeitgeber dafür Regeln. Eine davon lautete: erst mal patentieren.

Als Freund freier Software sind Sie ja nun wahrscheinlich ohnehin der Meinung, dass Patente böse sind, Innovationen verhindern, der Wirtschaft schaden und Kuscheltiere umbringen. Nachdem ich mit Patenten gearbeitet habe, kann ich Ihnen versichern, das stimmt nicht! In Wirklichkeit ist es nämlich noch viel schlimmer, sogar übler, als Sie sich überhaupt vorstellen können. Lassen Sie mich meine Erfahrungen mit Ihnen teilen.

Bitte beachten Sie bei der Lektüre meiner Ausführungen, dass ich nicht behaupte, im Besitz endgültiger Wahrheiten zu sein. Ich bin auch kein Anwalt. In den folgenden Abschnitten beschreibe ich lediglich, welche Vorgehensweisen für den Umgang mit Patentanmeldungen man mir beigebracht hat.

Patente sind alle gleich
Obwohl ich alles andere als ein Patentexperte war, wusste ich natürlich trotzdem, dass Softwarepatente in Europa nicht zulässig sind. Das führte mich direkt zu der Frage, wie ich dann etwas patentieren konnte, das nicht viel mehr als ein angepasster Bayes-Algorithmus war. Er sah ziemlich unspektakulär aus und war reine Software. Als Anhänger freier Software war ich ohnehin gegen Softwarepatente - weniger, weil ich das hätte genau begründen können, sondern mehr, weil ich denen traute, die dagegen argumentierten.

Mein Arbeitgeber legte mir nahe, meine Erfindung mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten: Ich nutzte Datenquellen in der echten Welt, meine Voraussagen hatten Auswirkungen auf das Verhalten eines Stücks Hardware. Tatsächlich kann man jedes Softwarepatent auch als Hardwarepatent ansehen. Ist bei genauerer Betrachtung nicht auch ein sich bewegendes Elektron etwas Körperliches?

Umgekehrt lässt sich praktisch auch jedes Stück Hardware in Bits und Bytes giessen. Denken Sie an Modellierung. Selbst ein Flugzeug oder Zug kann als reines Softwaremodell exiistieren. Aus dieser Perspektive scheint es sinnlos, zwischen Hard- und Softwarepatenten zu unterscheiden. Tatsächlich gibt es Patentanwälte, die sich darauf spezialisiert haben, Softwarepatente in eine Form zu bringen, die das europäische Patentamt akzeptiert. Letztenendes hängt es ganz davon ab, wie man die Dinge beschreibt. Reine Heuchelei - davon war und bin ich überzeugt. Jede Unterscheidung zwischen Hardware-, Software- oder auch Pharmapatenten ist rein willkürlich.

Wozu Patente dienen
Für eine Patentanmeldung muss man mehrere zehntausend Euro in die Hand nehmen [1]. Nicht daran gewohnt, mit solchen Summen umzugehen, fragte ich nach, ob ich das Geld nicht lieber dazu verwenden sollte, einen richtigen Prototyp zu bauen. Das wäre doch nützlicher und cooler.

Zur selben Zeit begann allerdings eine Patentattacke gegen meinen Arbeitgeber. Der Gegner war ein direkter Mitbewerber, der ganz ähnliche Produkte anbot wie wir. Wir verletzten angeblich einen Gutteil des gegnerischen Patent-Portfolios, wofür der Konkurrent von uns mehrere Millionen Euro forderte. Unsere Anwälte zückten als Antwort unseren eigenen Patentpool - mit Erfolg, es kam zu einer Einigung hinter verschlossenen Türen, der Fall wurde fallen gelassen.

Mein Chef rieb mir diese Geschichte unter die Nase, um mir klar zu machen, wie wichtig Patente doch seien. "Mit Patenten können wir Millionen Euro einsparen". [2] Ausserdem hiess es, ich dürfe keinesfalls an einem Prototypen arbeiten, solange wir kein Patent dazu hätten. Die einfache Begründung: andernfalls könnte der Mitbewerber entsprechende Patente einreichen, sobald meine Neuerung bekannt würde, und uns dann verklagen, sobald wir ein entsprechendes Produkt auf den Mark brächten - und wir hätten dann kein Mittel, zurückzuschlagen.

An diesem Punkt wurde mir schlagartig klar, dass Patente ja möglicherwiese für vieles gut sind, aber ganz bestimmt nicht dazu, Innovationen voranzutreiben. Ich machte mir die Sache trotzdem nicht einfach. Ich liebte meinen Job, mochte meine Kollegen und bewunderte meinen sehr smarten und interessanten Chef. Ich versuchte, meine Position gründlich zu durchdenken: Hatte ich mir möglicheriwese von den freie-Software-Fanatikern eine Gehinrnwäsche verpassen lassen? Ich beschloss, mich der Herausforderung zu stellen, an einem Paten zu arbeiten. Auf diese Weise würde ich Gelegenheit haben, mir eine fundierte Meinung zu bilden. Ausserdem lautet die einhellige Meinung meiner Umgebung, ein Patent zu bekommen würde meine Karriere fördern, das könne keinesfalls schaden.

Stand der Technik?
Ist man der Meinung, etwas erfunden zu haben, gilt es als erstes, den aktuellen Stand der Technik, neuhochdeutsch die Prior-Art, festzuhalten. Man versucht also, alle Patente zu finden, die denselben oder einen ähnlichen Aspekt behandeln, wie die eigene Erfindung, und deren Inhalt zusammenzufassen. Das eigene Patent wird sich dann in der Regel auf irgendeine Kleinigkeit beziehen, die dieser Stand der Technik nicht abdeckt. Das ist im Prinzip ganz ähnlich wie bei wissenschaftlichen Publikationen. Bewaffnet mit google-patents und einigen firmeninternen Werkzeugen begann ich also in die Welt der Patente einzutauchen und fühlte mich wie vom Blitz getroffen: es war schon alles patentiert! Auch die winzigste Kleinigkeit, die Ihnen vielleicht einfallen mag, ist todsicher bereits patentiert. Nicht nur ein oder zweimal, sondern mindesten zehn oder zwanzigmal! Wie kann man denn damit bitte arbeiten? Wie kann man hoffen, da noch etwas hinzuzufügen oder auch nur relevante Prior-Art zu finden, es ist ja schon alles "relevant".

An diesem Punkt angekommen, erhielt ich erst einmal eine gründliche Einweisung, wie man eine Patentanmeldung richtig lesen muss und wie man dann selbst eine zusammenstellt.

Wie Patente funktionieren
Erstens: Ein Patent kannst du vergessen, solange es nicht von einem Gericht bestätigt worden ist. Eine Patenturkunde in der Schublade zu haben besagt lediglich, dass du das Patentamt davon überzeugt hast, dass du möglicherweise tatsächlich eine valide Erfindung vorweisen kannst und es keine triviale Prior-Art gibt. Ja, schon richtig gelesen: es könnte eine echte Erfindung sein, aber auch nicht mehr.

Bis dahin hatte ich immer angenommen, ein Patent sei der Beweis, dass du etwas erfunden hättest. Stimmt aber nicht. Es hilft dir nur dabei, das im Falle eines Falles vor Gericht darzulegen.

Diese Tatsache darf man nie vergessen: ein Patent bedeutet gar nichts, solange es nicht vor Gericht bestätigt worden ist.

Zweitens: Ein Patent umfasst üblicherweise eine Reihe von Ansprüchen. Jeder solche  Anspruch bezieht sich auf einen innovativen Punkt der Erfindung. Wenn man das Patent liest, sieht das dann so aus, als schütze es jeden einzenen dieser Ansprüche. Tatsächlich braucht man aber nur einen einzigen validen Anspruch, um ein gültiges Patent zu erlangen! Als Ansprüche kann der Antragsteller aufzählen, was immer er will - ist auch nur einer davon gültig, wird das Patent akzeptiert. Schlimmer noch: es gibt keinen Weg herauszufinden, welcher der enthaltenen Ansprüche das Patentamt zur Annahme des Patents gebracht hat. Dazu ein Beispiel: Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten einen sehr effektiven Weg erfunden, Marmelade auf eine Brotscheibe zu applizieren. Jetzt setzen Sie sich hin und melden eine Patentanmeldung mit den folgenden Ansprüchen:
1. Das Backen von Brot
2. Das Zerlegen des Brotes in Scheiben
3. Das Herstellen von Marmelade
4. Das effiziente Aufbringen der Marmelade auf die in 2. erzeugte Brotscheibe.
Da es sich bei Punkt 4. um einen gültigen Anspruch handlet, wird das Patentamt die Anmeldung akzeptieren. "Gültig" bedeutet in dem Zusammenhang, dass das Patentamt keine triviale Prior-Art dazu finden kann. Das heisst aber mitnichten, dass es tatsächlich keine Prior-Art gibt, dass der Einreicher des Patentes der tatsächliche Erfinder ist oder dass die Erfindung auch nur funktioniert. Das Schlimmste dabei: Sie müssen gar nicht genau beschreiben, wie Sie die Marmelade auf die Brotscheibe praktizieren. Sie könnten beispielsweise ein Patent einreichen, dass sich um "eine mögliche Effizienzsteigerung beim Aufbringen von Marmelade auf Brotscheiben" dreht.

Mit ihrem nagelneuen Patent klappern Sie jetzt allen Bäckereien ab und erklären dort, Sie seien im Besitz eines Patentes hinsichtlich des Brotbackens (1.) Das stimmt freilich so gar nicht, weil dieser Anspruch ungültig ist. Um das aber zu belegen und ihre Ansprüche durchein Gericht abweisen zu lassen, müsste ihr Gegenüber reichlich Geld in die Hand nehmen. Da erscheint es viel einfacher und gefahrloser, einem etwas Geld als "Lizenzgebühr" zu geben und die Sache zu vergessen.

Sie halten das für einen konstruierten Fall? Während meiner Recherchen zu Prior-Art fand ich ein Patent, das exakt meine Erfindung behandelte. Es beschrieb Wort für Wort, was auf meinem Schreibtisch stand. Der einzige Unterschied: das Patent gab keinen Algorithmus an, sondern war als "Methode zur Vorhersage von Benutzereingaben aufgrund von Sensordaten" beschrieben. Auf den Illustrationen dazu fand sich ein grosses Viereck eingezeichnet, das als "Verarbeitungseinheit" beschriftet war.

Ich sagte also zu meinem Chef: "Schau mal, das ist schon patentiert" Das macht nichts, lautete die Antwort. Das ist bloss Prior-Art. Patentiere Du mal den Algorithmus für die Verarbeitungseinheit. Wir würden also einfach ein bestehendes Patent erweitern.

Nicht zu wenig, nicht zu viel
Ich begann damit, ein Papier zusammenzustellen, das meinen Algorithmus mithilfe mathematischer Formeln beschrieb. Klingt logisch, nicht? Aber bekanntlich ist es nicht zulässig, mathematische Formeln zu patentieren. Daher erhielt ich die Anweisung, stattdessen mithilfe von Kästchen und Pfeilen darzustellen, wie ein Input den resultierenden Output beeinflusste.

So langsam entwicklete sich mein Job zum Albtraum. Ich verbrachte meine Tage damit, sehr elegante Formeln in schwachsinnige Strichzeichnungen umzusetzen. Als Resultat erhielt ich Kommentare wie "Das darf nicht so nach Software aussehen!", "Da fällt zu sehr auf, dass wir eine Formel patentieren" oder "Mach das doch noch verwirrender. Du willst doch nicht, dass ein Mitbewerber damit Dein Patent implementieren kann, oder?"

Alles in Allem arbeitete ich sehr hart und ohne das geringste Vergnügen daran, die Welt zu einem möglichst unerfreulichen Ort zu machen. Ich hatte immer gedacht, ich sei kein besonders prinzipientreuer Mensch. Zu meinem Erstaunen stellte ich jetzt aber fest, dass ich einfach nicht mit dieser Art von intellektueller Heuchelei klarkam. Mich selbst anzulügen war das Unerfreulichste, was ich je hatte tun müssen.

Meine Vorgesetzten reagierten darauf mit einem Bestechungsversuch: Sie machten mir klar, dass die Firma jedes von einem Angestellten erzielte Patent mit einer Gratifikation honoriere. Wie gesagt, bin ich auch nur ein Mensch und zog in Betracht, ob nicht auch ich meinen Preis hätte. Aber die Höhe des ausgelobten Bonus war so lächerlich gering, dass mir das Ganze eher als Beleidigung vorkam. [3]

Ich verwickelte meinen Chef also in ein Gespräch unter vier Augen und sagte ihm ganz offen: "Ich habe immer einen ehrlichen Job abgeliefert. Was ihr da aber von mir verlangt, ist schierer Betrug. Jeder, der dass nicht sofort erkennt, ist entweder ein Vollpfosten - das soll es ja durchaus geben - oder er lügt sich in die eigene Tasche".

Seine Antwort werde ich wohl nie vergessen: "Das liegt am System - so ist das eben. Entweder spielst du mit und hältst die Klappe oder du versuchst, die Welt zu verbessern. Aber Idealisten können wir hier nicht brauchen." [4]

Fazit
Ich weigerte mich daraufhin kategorisch, weiter an irgendwelchen Patenten zu arbeiten. Wie man sich unschwer denken kann, war das das Ende meiner Laufbahn in diesem Unternehmen. Zwar arbeitete ich noch für einige Monate dort - hauptsächlich, weil ich die Kollegen gerne mochte - doch das Rad drehte sich weiter und ich hatte keine andere Wahl, als mir eine neue Arbeitsstelle zu suchen, wo ich die Welt verbessern konte, zumindest meine eigene, kleine Ausgabe davon.

Übrigens ist heute, nahezu fünf Jahre nach meiner Idee die von mir angepeilte Funktion immer noch in keinem einzigen Produkt auf dem Markt zu finden. In Anbetracht meiner Erfahrung damit und der großen Fortschritte, die der embedded Markt in den letzen fünf Jahren gemacht hat, bin ich mir sicher, dass  sich das Feature mit nur wenigen Mann-Monaten Aufwand produktreif machen liesse und das Leben der Anwender erleichtern würde.

Aufgrund des Patentsystems jedoch ist meine Erfindung immer noch blockiert. Mehr muss man eigentlich zum Thema "Wie Patente die Innovation fördern" nicht wissen.

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Anmerkungen:
[1] Man braucht 50.000 Euro, macht man alles selbst. Meist geht es aber nicht ohne Patentanwalt, den man über die gesamte Dauer des Patentzyklus benötigt - das bedeutet mindestens 80.000 Euro pro Patent.
[2] Was für ein grandioser Trugschluss!
[3] Wie ich später herausfand, wäre der Bonus ohnehin zwischen allen am Patent Beteiligen aufgeteilt worden. Da aus jeder Hierarchiestufe jemand seinen Namen dazu gesetzt hätte, würde ich tatsächlich am Schlusss nur 1/10 des angebotenen Betrags erhalten haben.
[4] Was, wie ich einräume, eine verständliche Position ist. Ich konnte nur dummerweise einfach nicht damit aufhören, die Sache zu hinterfragen.

 

Der Autor
Der aus Belgien stammende Ingenieur Lionel Dricot entwickelt quelloffene Software, schreibt Bücher über FOSS und hält weltweit Vorträge rund um freie Software. Derzeit arbeitet er für die Hamburger Lanedo GmbH, die Unternehmen beim Einsatz freier Software berät. Hier finden Sie den Originaltext

Der Originaltext wurde vom Chefredakteur der Zeitschrift "Linux-User", Jörg Luther, ins Deutsche übersetzt. Dieser Artikel sowie das Original stehen unter der Lizenz CC-BY-SA 2.0

Andreas Richter schrieb den Text aus der Zeitschrift ab - vielleicht baute er einige zusätzliche Rechtschreibfehler ein oder beseitigte ein oder zwei...

Weitere Links zu dem Thema:
Patente verhindern Innovationen (Stern)
Die Wahrheit über Patente (golem.de)
Patente als Waffe im Wettbewerb (telekom-presse.at)

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